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Vom Dilemma, das häufig keines ist


«Stecke echt in einem Dilemma! Ich muss mich entscheiden, aber weiss nicht wofür. Soll ich A oder B wählen? Und was, wenn ich mit meinem Entscheid falsch liege und auf dem Bauch lande?»


Vermutlich kommt Ihnen das Geschilderte bekannt vor. Gefangen in einer Zwickmühle, wägen wir eine Möglichkeit gegen die andere ab – ein zermürbendes Hin-und-her der Gedanken. Und je länger wir grübeln, desto trüber die Aussichten.


Stopp! Wer sagt denn, dass wir ausschliesslich die Wahl zwischen A und B haben? Sind nicht auch andere Lösungen denkbar?


In Beratungs- und Coachingprozessen ist das entweder/oder-Denkmuster ein Klassiker. In Phasen der Veränderung etwa neigen die Menschen dazu; sie können sich schwer vorstellen, dass neben dem Einerseits/andrerseits eine – manchmal reich bestückte – Palette der Wahlfreiheiten existiert. Der Tunnelblick verengt ihre Sicht auf einen kleinen Ausschnitt, doch die Realität ist vielfältiger, «grösser». Wir wähnen uns also häufig in einem Dilemma, das bei näherer Betrachtung keines ist.


Ein Beispiel aus dem Berufsleben. Wenn Frust und Ärger im Job anhalten, stellt sich die Frage: Kündigen oder bleiben? Ein Dilemma, scheinbar. Denn das eine wie das andere ist mit Sorgen und einer ungewissen Zukunft verknüpft (nur selten wartet der Traumjob um die Ecke).


Aber auch bei diesem Szenario haben wir mindestens noch eine dritte Wahl, wir haben es also mit einem Trilemma zu tun. 1. Wir können tatsächlich kündigen. 2. Wir können bleiben und uns dafür einsetzen, die Situation zu ändern und eine Verbesserung zu bewirken – etwa indem wir ansprechen, was zum Ärger führt. 3. Vielleicht können wir auch das Pensum anpassen, oder eine Weiterbildung ins Auge fassen.


Oder wir können sonst in unserem Leben eine Veränderung einleiten. Manchmal wirkt schon Wunder, wenn wir endlich den Abendkurs belegen, mit dem wir schon lange liebäugeln; oder wieder mehr Sport treiben; uns in dem Freiwilligenprojekt engagieren; Yoga ausprobieren, und so weiter. In Beratungen erleben wir, wie kleine Schritte zu grossen werden und die Sicht aufs Ganze auf einmal eine andere ist. Kleine Gewichtungen verschieben sich, doch sie können genügen, das «Mobile des Lebens» neu auszutarieren. An einer Seite wurde etwas weggenommen, dafür Neues hinzugefügt.


Wir wollen nicht schönreden: Es gibt sie tatsächlich, die Dilemmata. Zuweilen müssen wir eine von zwei Kröten schlucken, das ist unserem Leben immanent. Eine unserer Kernaufgaben als Coaches ist es, den Klienten auch in schwierig anmutenden Situationen wieder eine gewisse Wahlfreiheit zu ermöglichen. Und vielleicht ist der nächste Schritt dann die Erkenntnis, dass sich uns meist mehr als zwei Möglichkeiten bieten. So wie die Welt nicht allein aus Schwarz/Weiss besteht, sondern aus einer Fülle von Grautönen – und einer Menge sonstiger Farben.


Professionelle Coaches raten ihren Klientinnen und Klienten nicht: Entscheide dich für A, B, C oder D. Aber sie unterstützen sie dabei, einen stimmigen Entscheid zu treffen. Und was ist stimmig? Die Antworten darauf und das Wissen hierzu sind in den Menschen angelegt. Sie müssen es jedoch aufspüren, und manchmal ist das ein intensiver Prozess des Freischaufelns. Eine Art archäologische Arbeit, bei der wir beraten und begleiten. Und die – wie in der wirklichen Archäologie – reiche Funde ans Licht befördern kann.



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