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Leadership und die Regel des Benedictus

Altes Wissen als Quelle der Inspiration im Führungsalltag


Unsere Aufmerksamkeitsfähigkeit erodiert. Social media sei Dank. Führen ist generell, besonders aber im multikulturellen und globalisierten Unternehmen, sehr anspruchsvoll geworden. Was heisst das für das Führen im Alltag? Es heisst vor allem, dass die Führungsperson zusätzlich zur Fachkompetenz über ein hohes Mass an sozialer und emotionaler Kompetenz verfügen sollte. Führungspersonen müssen auch in turbulenten Situationen den Überblick behalten, müssen in der Lage sein, zeitgerecht und klar zu kommunizieren, die Mitarbeitenden und die Stakeholders fair zu behandeln. Wer führt soll empathiefähig sein, Menschen fordern und fördern, denn es gilt: Erfolgreich ist, wer andere erfolgreich macht.

 

Doch was hat das alles mit Benedictus zu tun? Viel, denn Klöster sind Lebens- und Arbeitsgemeinschaften. Das Leben im Kloster bedarf der Organisation und Führung. Die Regel des heiligen Benedikt ist nicht eine einzelne Regel, sondern eine Art Regelsammlung, ein Organisations- und Führungshandbuch. Benedikt stellte sie im sechsten Jahrhundert auf dem Monte Cassino für seine Mönchsgemeinschaft zusammen. Dieses Werk hat die Zeiten überdauert und ist in den Benediktiner-Klöstern noch immer massgebend. Es kann auch heute, in säkularen Zeiten, Inspiration für Führung sein.

 

Beispielhaft und sinngemäss seien ein paar Kernaussagen erwähnt, die im Kloster den Abt als Führungsperson betreffen und welche auch heute aktuell sind:

 

Führung

„Führen ist eine schwierige und mühevolle Aufgabe. Die Führungsperson muss der Eigenart vieler dienen“.

 

Führen bedeutet auf das Individuum einzugehen und eben auf ganz individuelle Weise. Es sind nicht alle Menschen ansprechbar oder auf die gleiche Weise ansprechbar.

 

„Wer es auf sich nimmt, Menschen zu führen, muss sich bereit halten, Rechenschaft abzulegen“.

 

Im klösterlich-spirituellen Kontext ist damit Gott gemeint. Im säkularen Kontext geht es um Unternehmensethik (Compliance) und Rechtmässigkeit.

 

Vorbild

„Mache alles Gute und Heilige mehr durch dein Leben als durch dein Reden sichtbar“.

 

Mit andern Worten: Wer führt soll Vorbild sein. Das tönt heute wenig attraktiv, trotzdem ist es das Fundament der Glaubwürdigkeit und das Stimulans für die Loyalität.

 

Verantwortung

„Wem mehr anvertraut ist, von dem wird mehr verlangt“.

 

Die Führungsperson muss antworten. Auch auf unangenehme Fragen. Sie ist verantwortlich. Sie muss hinstehen.

 

Gleichbehandlung

„Bevorzuge keinen wegen seines Ansehens“.

 

Das ist das brisante und aktuelle Thema der Gleichbehandlung. Wo dieser Anspruch eingelöst wird, gibt es keinen Raum für Mobbing.

 

Klarheit, Bestimmtheit und Empathie

„Zeige den entschlossenen Ernst des Meisters und die liebevolle Güte des Vaters“.

 

Das ist die Balance von Sachorientierung und Menschen-orientierung. Ganzheitlich. Holistisch. Hard and soft skills gehören zusammen, erkannt vor mehr als tausend Jahren.

 

Der richtige Zeitpunkt

„Lasse dich vom Gespür für den rechten Augenblick leiten“.

Kairos. Der richtige Zeitpunkt. Alles hat seine Zeit. Hohes Tempo und überhöhtes Effizienzstreben torpedieren heute diese Maxime. Warten können als Herausforderung. Sich zurück nehmen können als Lernfeld.

 

Selbstreflexion

„Das eigene Tun und Lassen jederzeit überwachen“.

 

Also sich selber über die Schulter schauen. Selbstreflexion.

Sich und die andern als lernende Wesen begreifen.

 

Selbstdisziplin

„Seinen Mund vor bösem und verkehrtem Reden hüten. Das viele Reden nicht lieben“.

 

Ruhig und überlegt reden und handeln. Nicht jedem Akteur im inneren Team Raum geben. Innehalten. Gelassenheit kultivieren.

  

Partizipation

„Sooft etwas Wichtiges zu behandeln ist, rufe die ganze Gemeinschaft zusammen und lege dar, worum es geht. Höre den Rat der Brüder an und dann gehe mit dir selber zu Rate. Was du für zuträglicher hältst, das tue“.

 

Auffallend ist, dass die ganze Gemeinschaft versammelt wird. Aufgabe, Alter, Hierarchie sind nicht massgebend. Auch der Novize wird angehört. Welche Offenheit, welche Klugheit! Und der Chef delegiert nicht. Er steht da. Es geht darum, die Essenz dieser Partizipationsanweisung auf den unternehmerischen Kontext zu übersetzen.

 

Friede

„Bei einem Streit mit jemandem noch vor Sonnenuntergang in den Frieden zurückkehren“.

 

Diese Empfehlung ist universell bedeutsam. Im Führungsalltag kann das nur heissen: Störungen haben Vorrang. Kein Ausweichen, kein Ignorieren. Hinschauen, ansprechen, klären ist Führungsaufgabe.

 

Den Tod vor Augen haben

„Den unberechenbaren Tod täglich vor Augen haben“.

 

Sich der eigenen Begrenztheit, des Todes bewusst zu sein (memento mori) ist die eine Seite der Medaille, die andere ist die aus der Todesgewissheit schöpfende Kraft, jetzt zu handeln, den Tag zu nutzen (carpe diem). Die Relativierung der eigenen Bedeutung dient menschenfreundlicher Führung, was in vielen Leitbildern von Unternehmungen und Verwaltungen erwünscht ist, heisst es doch dort häufig: Bei uns ist der Mensch im Mittelpunkt.

Hoffentlich. Sind wir doch alle „Eintagsfliegen an den Fenstern dieser Welt“ (Erich Kästner).

 

Mit diesen Ausführungen ist die Regula Benedicti als Inspiriationsquelle bei weitem nicht ausgeschöpft. Und auch andere Quellen der Weisheit, sei es philosophischer oder spiritueller Art, können wir beiziehen, um unser Führungsverhalten zu hinterfragen, zu lernen und mit neuen Kräften voranzugehen.

 

 

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